Auf dieser Seite werden Cookies und andere Technologien genutzt. Cookie - Konfigurationsbox öffnen 1.364 km entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze: 59 - Fliesenmuseum Boizenburg

59 - Fliesenmuseum Boizenburg

Die Kleinstadt Boizenburg, die im Jahr 2020 ihr 765jähriges Bestehen feiern konnte, ist die westlichste Stadt Mecklenburg-Vorpommerns und gehört zum Landkreis Ludwigslust-Parchim. 
Der die Stadt am meisten beeinflussende Wirtschaftszweig war über 200 Jahre -  bis zur endgültigen Schließung im Jahr 1997 -  der Boots- bzw. Schiffsbau in der Elbewerft.
Gleichzeitig hatte seit über 100 Jahren die Fliesenherstellung eine große Bedeutung.

Anfang 1903 gründete der aus der Bremen stammende Hans Duensing die "Boizenburger Plattenfabrik". Max Bicheroux, ein Studienfreund von Duensing, war Kapitalgeber. So lag es nahe, dass die neu gegründete Firma den Namen "Duensing-Bicheroux" trug. Zuerst stellte man Geschirr aus Steingut her, später Wandfliesen.
Im Sommer 1921 gründete man die "Boizenburger Plattenfabrik AG" mit dem Ziel, insbesondere Keramik herzustellen.
1928 wurden aus der Aktiengesellschaft die Duensing-Bicheroux-Werke, Fliesenfabrik in Boizenburg, die die Stadt bis heute wesentlich prägen. Die hiesige Fliesenfabrik beeinflusste die Entwicklung industrieller Herstellungsverfahren für Haushaltsfliesen in Deutschland in großem Maße. 

So landeten im Hafen von Boizenburg u.a. auch Frachtschiffe an und brachten hochwertigen Ton aus "Sachsen". Von hier wurde er mit einem Güterzug auf einer etwas mehr als zwei Kilometer langen Schienenstrecke an den östlichen Stadtrand zur Fliesenbabrik transportiert. 
Gegen Ende des Krieges mussten vorwiegend politischen Häftlinge in der Plattenfabrik Rüstungsgüter für den Flugzeugbauer Dornier produzieren. Außerdem produzierte das Werk Teile für die V 1 und V 2 sowie für das Flakzielgerät 8-246.

Nach 1945 wurde das Boizenburger Fliesenwerk trotz der hier stattgefundenen Rüstungsproduktion während der letzten Kriegsjahre (u.a. V 1+2) und der damit verbundenen Nähe zum faschistischen Regime nicht demontiert. Vielmehr ließ die sowjetischer Leitung die Produktion sofort wieder aufnehmen. Die produzierten Fliesen gingen als Reparationsleistungen ausschließlich in die Sowjetunion. So findet man Fliesenschmuck aus Boizenburg unter anderem auch in den Metro-Stationen in Moskau.
Erst 1952 ging die Firma in DDR-Besitz über.

Auch zu DDR-Zeiten blieb Boizenburg mit seinem traditionsreichen Werk die "Stadt der Fliesen"; halb Europa wurde von hier aus mit Keramikfliesen versorgt. Oft gelang es deshalb nicht, für die eigene Bevölkerung Boizenburger Fliesen erster Wahl aufzutreiben.

Auch heute möchte sich Boizenburg auch weiterhin als die „Fliesenstadt“ von Deutschland vermarkten. In der Stadt befindet sich nicht nur die bis heute existierende Fliesenproduktion, sondern auch das einzige Fliesenmuseum Deutschlands ↗.

Das Fliesenmuseum in Boizenburg
Das Fliesenmuseum in Boizenburg

Auch das Stadtbild ist durch zahlreiche Fliesenwandbilder geprägt. Ein schönes Beispiel ist die „lesende Frau mit Pfau“ (von Lothar Scholz ↗) über der Elbe-Buchhandlung in der Innenstadt.

Elbe-Buchhandlung in Boizenburg

Lesende Frau mit Pfau (Elbe-Buchhandlung)
Lesende Frau mit Pfau (Elbe-Buchhandlung)

Auch am Fliesenmuseum befindet sich an der Außenfassade ein Fliesenbild; das von Lothar Scholz gestaltete Motiv zeigt eine Fliesenpresse.

Das Fliesenmuseum in Boizenburg - Fliesenpresse

Das Fliesenmuseum wird seit seiner Eröffnung im Jahr 1998 von einem gemeinnützigen Verein getragen. Auf etwa 500 m² werden über 2.000 historische Fliesen ausgestellt mit einem Schwerpunkt im Bereich „Jugendstil- und Art Déco-Fliesen“ (Jugendstil: Ende 19. Jhdt. bis Beginn 1. Weltkrieg; Art Déco: folgte darauf bis Beginn 2. Weltkrieg). Es gibt eine gut ausgestattete Fachbibliothek und einen kleinen Fliesen-Shop. Im jährlichen Turnus finden Sonderausstellungen statt und es wird mindestens eine Fliesensammler-Börse veranstaltet.
Einen virtuellen Rundgang ↗ kann man auch unternehmen.
Direkt neben dem Eingang blickt man auf das erste Prunkstück, eine Darstellung des „Dresdner Zwingers“ (1,80 m x 1,80 m und etwa vier Zentner schwer). Es ist eine Leihgabe eines Unternehmers aus Hannover, dessen Großeltern dieses Fliesen-Kunstwerk 1880 von der Firma Villeroy & Boch für ihre damalige Schokoladenfabrik in Dresden herstellen ließen.

Dresdener Zwinger - Fliesenbild

Bis September 2022 wird eine Sonderausstellung „vive la france“ gezeigt. Es handelt sich um französische Fliesen aus den Jahren 1840 bis 1950, allerdings mit einem Schwerpunkt auf Fliesen aus der Jugendstilzeit. Sie stammen aus italienischen und belgischen Privatsammlungen und wurden bisher im Tegelmuseum bei Antwerpen gezeigt.

Das Museum zeigt nicht nur die verschiedensten Fliesenbeispiele, sondern gibt in einem Ausstellungsbereich auch eine Beschreibung der sozialgeschichtlichen Veränderungen für die Arbeiter/innen in den Fliesenwerken und die Rolle, die Fliesen bei der Dekoration bzw. der Gestaltung im Wohnbereich im Laufe der Zeit spielten.
Auch die Geschichte der Fliesenfabrik in Boizenburg wird dargestellt.

Auch Antworten auf folgende Fragen werden anschaulich beantwortet:
  • Aus welchem Material bestehen denn überhaupt Fliesen?
  • Wie kommen die Farben, die Muster / Bilder und der Glanz auf die Fliesen?
  • Wie wird aus dem trockenen Pulver überhaupt eine feste Fliese?
In einer Schau- bzw. Kreativwerkstatt werden verschiedene Fertigungs- und Dekorierverfahren für Fliesen beschrieben. Zu Beginn werden die Rohstoffe für die Fliesenherstellung vorgestellt: zunächst als Basismaterial der „Ton“, der mit Wasser verrührt wird. Ihm werden je nach gewünschter Fliesenart Kaolin (Porzellanerde, eigentlich weißer Ton), sowie gemahlener Quarzsand und Feldspat (auch hier werden unterschiedliche Feldspate verwendet) zugemischt. Die dünnflüssige Tonmasse nennt man „Schlicker“. Danach erfolgt eine Trocknung. Das entstandene Pulver wird dann gepresst und anschließend gebrannt. Für Kunstfliesen werden im nächsten Arbeitsschritt verschiedene Farben zur Bemalung verwendet und vor dem zweiten Brand wird noch eine Glasur aufgebracht.

Grundstoffe der Fliesenherstellung

Für die Kunstfliesen gibt es verschiedenste Techniken, um das Motiv aufzubringen:
so kann man bspw. ein Relief mit einem Stahlstempel aufpressen oder mit Schlicker die Konturen des Bildes aufmalen. Natürlich ist es auch möglich, das Motiv direkt mit der Glasurfarbe aufzumalen.

Das Herzstück der Ausstellung ist das „Lothar-Scholz-Zimmer“. Lothar Scholz (1935-2015) wurde in Boizenburg geboren, dort im Fliesenwerk zum „Keram-Former“ ausgebildet und erlangte 1958 an der „Hochschule für Bildende und Angewandte Kunst“ in Berlin sein Diplom als Baukeramiker. Bis 1966 leitete er den VEB „Stuck- und Naturstein“ in Berlin, danach begann er mit seinen Arbeiten im eigenen Atelier.

Schreibtisch von Lothar Scholz

Scholz wirkte neben der Erstellung zahlreicher anderer Kunstwerke an der Gestaltung von über 600 Bauwerken mit - Hausfassaden von Wohn- und Geschäftshäusern, Schulen, Kindergärten und Krankenhäusern sowie an der Innengestaltung von Hallenbädern, Cafés, Restaurants und Hotels. Sein monumentalstes Außenwandbild findet man mit 1.500 m² am Bildungszentrum in Halle (1971).

Lothar Scholz ist Mitbegründer des Fliesenmuseums und Ehrenbürger von Boizenburg. In der Stadt findet man zahlreiche seiner Fliesenbilder, genauso wie im Museum, bspw. in der 1. Etage neben vielen Einzelfliesen und Fliesenbildern das monumentale Fliesenbild „Die Schwäne“.

Die Schwäne von Lothar Scholz

Viele weitere Fliesen aus Deutschland und aller Welt bestechen durch ihre wunderschöne Gestaltung und informieren über die unterschiedlichsten Möglichkeiten ihrer Herstellung.

Fliesenbild

Vögel - Fliesenbild

Eine besonders schöne Dauer-Leihgabe (Stiftung Ludwig) sind niederländische Schmuckfliesen aus vier Jahrhunderten.

Segelschiff in blau

Kachelmotive

Verschiedene Kachelmitive

Trautes Heim

Holländerin

Man kann so viele Details entdecken und könnte noch lange in diesem „einmaligen“ Museum verweilen. Deshalb ist ein Zitat von Lothar Scholz zum Abschluss recht passend: „Morgen ist, Gott sei Dank, auch noch ein Tag.“

Ferienlager 1988

Kachelmotive

Diverse Kachelmotive

Kacheln in der Ausstellung im Fliesenmuseum

Quellen und weitere Informationen:

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